Schnaps lagern

Schnaps muss reifen, aber wie lange? Schnapsflaschen trinkt man selten auf einen Sitz aus, also stellt man sie angebrochen wieder in den Schrank, aber wie lange?

Frisch gebrannte Destillate sind nichts für feine Gaumen. Es ist sogar für Spezialisten schwer, ihre Qualität zu beurteilen. Frühestens nach zwei bis drei Monaten ist der Zeitpunkt gekommen, den Brand ernsthaft zu verkosten – besser ist es oft noch, zumindest ein halbes Jahr vergehen zu lassen.
Frische Brände enthalten noch zu viele Aldehyde. Das sind jene flüchtigen Stoffe, die an Vorlauf erinnern und in der Nase als stechend wahrgenommen werden. Diese Aldehyde bauen sich bei der Lagerung zunehmend ab. Außerdem fehlen in ganz frischen Bränden noch die aromabildenden Ester, die sich erst fortlaufend bilden – wenn Fruchtsäuren mit Ethanol reagieren. Gut reifen kann ein Destillat allerdings meist nur, solange es noch nicht auf Trinkstärke herabgesetzt wurde. Wenn ein Brand nämlich das Licht der Welt erblickt, hat er 65 oder mehr Volumensprozent Alkohol. In dieser "Fassstärke" reift er erstens besser und ist er länger lagerbar. Erst vor dem Abfüllen in die Flasche wird ein Destillat auf Trinkstärke "eingestellt", indem man destilliertes oder sehr mineralarmes Wasser beimengt. Auch dann reifen Brände noch weiter – der Veränderungsprozess endet nie, wird aber deutlich verlangsamt.
Brenner wie Günter Rochelt oder Christoph Kössler, beide aus Tirol, nützen die Vorteile einer ausreichenden Lagerung auf verschiedene Weise. Der eine füllt die unverdünnten Brände in Glasballons und setzt sie auf seinem Dachboden sozusagen Wind und Wetter aus, der andere reift seine Destillate im Felsenkeller, bei stets gleich niedriger Temperatur. Was besser ist, kann kaum festgestellt werden, denn diese beiden Brenner haben ganz unterschiedliche Philosophien. Günter Rochelt brennt ausgesprochen hochprozentige Destillat, Christoph Kössler setzt sämtliche Brände auf 40 bis 42 % herunter und bevorzugt, zarte Aromen. Ein Marillenbrand 1995 von Günter Rochelt, der in einer unserer Blindverkostungen 1997 als Sieger bewertet wurde, hat uns in den folgenden Jahren sozusagen an der Nase herumgeführt und beschreibt vielleicht am besten wie wenig vorhersehbar es ist, wir ein Brand sich in einer angebrochenen Flasche entwickelt.
Die Rochelt Marille war schon ein halbes Jahr nach der damaligen Verkostung nurmehr ein Schatten ihrer selbst, wirkte buttrig und müde und zeigte kaum Frucht. Wieder ein halbes Jahr später präsentierte sich derselbe Brand mit wunderschönen, typischen und engmaschig verwobenen Aromen. Und diese auf und ab blieb in den folgenden Jahren genauso beständig wie unberechenbar. Kein anderer Brand ist uns untergekommen, der sich so gegensätzlich präsentierte. Eine Nachverkostung von Destillaten, die im Laufe der Jahre für die Bewertung im Guide A la Carte eingereicht wurden hat auch kein eindeutiges Bild ergeben. Es waren Schnäpse dabei, die sich selbst nach fünf Jahren in einer gut angebrochenen Flasche immer noch bestens zeigten, andere wiederum waren nur noch ein Skelett.
Insgesamt haben sich die Brände in den angebrochenen Flaschen sehr gut gehalten, und man kann sagen, es ist kein Problem, einen Brand ein Jahr lang zu lagern. Was danach geschieht ist offenbar von der Frucht abhängig, weniger offenbar vom Alkoholgehalt – immer vorausgesetzt, die Flaschen waren weder besonders viel Licht noch Wärme ausgesetzt. Wir konnten feststellen, dass Himbeere in der angebrochenen Flasche eher nicht gelagert werden sollte. Vom Williams, dem die Literatur auch keine lange Lagerfähigkeit zuschreibt, glauben wir das nicht – gerade Williams und Subirer haben sich teilweise sehr gut gehalten, und die zitronig-herben Noten der Schale gaben den Bränden auch im Alter einen schöne Stütze.
Zwiespältig waren die Erfahrungen bei Wildfrüchten und Steinobst. Während eine Elsbeere von Parzmayr sich sehr schön verwoben präsentierte, neigen manche Wild- oder Steinfrüchte dazu, sich von einer einseitig herben Seite oder sogar etwas ranzig zu zeigen. Beeren hingegen entwickeln sich in der Nase oft ausgesprochen charmant und amalgamiert, wirken am Gaumen aber skelettiert.
Die größte Überraschung war ausgerechnet ein Apfelbrand – also von einer Obstsorte, die ihren Konkurrenten schon in jungen Jahren nicht immer viel entgegen zu halten hat. Der Kukmirner Golden 1996 von Kurt Lagler, der seit fünf Jahren offen steht, zeigt sich ungebrochen elegant und mit cremig-samtigen Sekundär- und Tertiäraromen. Sein Vorteil mag sein, dass er zumindest ein wenig im Holzfass lagerte – fassgelagerte Brände verändern sich auch bei Luftkontakt in der Flasche kaum.

(erschienen in A la Carte Newsletter 1/03)